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- 2025-06-03 (2)
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- 03.06.2025 (2)
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Kunstgeschichte in eigener Sprache? Ausstellungen ruthenischer Kunst in Lemberg 1885 und 1888/1889
Im September 1885 wurde in der Technischen Hochschule Lemberg (Politechnika Lwowska), im Rahmen des ersten Kongresses polnischer und ruthenischer Archäologen die Polnisch-ruthenische archäologische Ausstellung gezeigt. Nur wenige Jahre später, 1888/1889, lud das Stauropigion-Institut in Lemberg zur Archäologisch-bibliografischen Ausstellung ein. Sie wandte sich – wie es schien – dem gleichen Gegenstand erneut zu. Mehr noch: Initiator dieser zweiten Ausstellung war Yzydor I. Sharanevych, der gemeinsam mit Wojciech Dzieduszycki bereits die Ausstellung von 1885 koordiniert hatte.
Die Ausstellung von 1885 gilt in der Forschung als ein grundlegendes Ereignis, das der Beschäftigung mit der sogenannten ruthenischen Kunst wesentliche Impulse gegeben habe – Kunst wurde hier noch unter dem allgemeineren Begriff der Archäologie, der Altertümer, subsumiert. Der Ausstellung im Stauropigion-Institut, einem Institut der griechisch-katholischen Kirche, wird hingegen die Bedeutung einer ersten großen nationalen Schau des kulturellen Erbes der Ruthenen respektive Ukrainer in Galizien zugeschrieben. Sie sei in diesem Sinne ein Akt der Emanzipation gewesen, der sich gegen die Vereinnahmung dieses Erbes durch die polnischen Eliten gerichtet habe.
Die Ausstellungen stellen damit jedoch nicht nur das aufflammende Interesse an der bemerkenswerten Kunst der Region mittelbar oder unmittelbar in einen Bezug zu den zeitgenössischen gesellschaftlichen und nationalpolitischen Bewegungen. Vielmehr sind sie ebenso Teil des Prozesses einer zunehmenden Institutionalisierung und Popularisierung der Geschichte der Kunst sowie einer damit einhergehenden Kanonisierung und Ordnung von Wissen. Die Frage, der der Beitrag nachgeht, ist also, wie sich die Vorstellung einer Geschichte der ruthenischen Kunst an eben dieser Schnittstelle zwischen kunsthistorischer Wissenskanonisierung und politischem Agieren in der zunehmend national polarisierten Gesellschaft in Galizien formierte. Dieses Problem ist dabei nicht allein von regionaler Bedeutung beziehungsweise von Relevanz für ein Verständnis dafür, wie Kunstgeschichte polnisch oder ukrainisch national gedeutet wurde. Mit den beiden Ausstellungen geriet vielmehr einer der vielen Momente in den Blick, in denen sich die Abgrenzung zwischen einer sogenannten westlichen und einer östlichen Geschichte der Kunst vollzog: Eine Abgrenzung, die bis auf die heutigen Tage wirksam ist und damit den substantiellen Kern des Faches Kunstgeschichte betrifft.